Weltrekord…..?

Weltrekord…..?

Am Sonntagmorgen, dem 4. Dezember 2016 ging ich an mein erstes internationales Turnier ins frisch eingeweihte “World Archery Excellence Centre” in Le Châlet à Gobet  bei  Lausanne.  

Die einsame, nächtliche Fahrt von Bern nach Lausanne durch den Nebel ist bemerkenswert schön und kompensiert  das viel zu früh Aufstehen müssen. Ich erreiche die Anlage bei Tagesanbruch. Das Centre liegt auf einer Passhöhe, auf fast 900 m. ü. M., und ist an diesem Morgen gerade oberhalb der Nebelgrenze. Eine ganze nigel nagel neue Anlage nur fürs Bogenschiessen, ich bin beeindruckt.

Beim Eintreten wird man nicht etwa auf Französisch oder Deutsch angesprochen sondern ganz feudal, auf Englisch. Ich gehe nach unten in die Halle und sehe nebst bekannten und unbekannten Gesichtern, auch einige Gesichter, die ich vom Archery TV kenne.

 Aus unserem Verein sind Simon Kaufmann, Joe Gutjahr, Ramon Keller und ich als Schützen dabei. Thomas Rufer arbeitet seit ein paar Monaten hier und bleibt den ganzen Tag hinter der Schiesslinie tätig.

 Ich schiesse auf der gleichen Scheibe wie Simon Kaufmann und der Weltnummer drei, dem Holländer Sjef Van den Berg. Zwei  Scheiben weiter rechts, schiesst kein geringerer als der sympathische Koreaner und Olympiasieger Ku Bo-chan. Ein paar Scheiben weiter links, bei den Frauen, schiessen zwei weitere Olympiamedaillengewinnerinnen, die Koreanerinnen Ki Bo Bae und Choi Misun. Entgegen ihrem freundlichen männlichen Landsmann, scheinen die beiden hübschen Damen eher etwas reserviert.

 

Der Wettkampf beginnt. Es wird auf 18 Meter geschossen. Es werden zweimal 30 Pfeile, in  Passen à 3 Pfeile geschossen, insgesamt also 60 Pfeile. Da im A/B – C/D Modus geschossen wird, kann ich Ku beim Schiessen jeweils zusehen. Sein Schiessstyl ist bemerkenswert: er bleibt kaum länger “im Anker” als Instinktivschützen, etwa 2 Sekunden. Manchmal nur eine Sekunde! Ist der Klicker nach drei Sekunden nicht gekommen, bricht er den Schuss ab. Bei der Schussabgabe schnellt seine Sehnenhand weit nach hinten und seine Bogenhand schnellt nach vorne. Er löst den Pfeil nicht nur, sondern es sieht sehr dynamisch aus, als würde er den Pfeil mit dem ganzen Körper  “wegschiessen”.

In der dritten Passe schiesst Ku eine 9. Es wird bis zur letzten Passe bei dieser einzigen Neun bleiben. Der Weltrekord war eben erst vor ca zwei Wochen im November 2016 von 597 auf 598 Punkte verbessert worden. Als die letzte Passe ansteht braucht Ku also nur noch eine einzige weitere 30er Passe zu Schiessen, um den Weltrekord mit 599 Punkten zu brechen. Die 10 ist übrigens bloss 8mm grösser im Durchmesser als ein Fünfliber.

Die letzte Passe wird von den C/D Schützen, zu denen ich gehöre, zuerst geschossen. Als ich zwei Pfeile geschossen habe, geht plötzlich in der ganzen Halle das Licht aus. Da es trotz der Panne ein bisschen natürliches Licht gibt, welches von Aussen in die Halle dringt, schiesse ich auch meinen letzten Pfeil und treffe die 10. Andere Schützen hören mit Schiessen aber auf. Es dauert etwa 5 Minuten bis das Licht wieder an geht. Eine Weile lang scheint niemand, auch die Schiessleitung nicht, recht zu wissen wie es weitergehen soll. Wahrscheinlich wird eifrig diskutiert was das Reglement in einem solchen Fall vorsieht. Ich beobachte Ku, der sehr wohl weiss, dass er den Weltrekord praktisch im Köcher hat. Er ist etwas nervös, tigert umher. Endlich, nach gut 10 Minuten geht es weiter. Zuerst schiessen C/D Schützen ihre verbleibenden Pfeile. Danach sind A/B Schützen, zu denen Ku gehört, an der Reihe. Ku’s erster Pfeil ist etwas tief, ich sehe aber mit dem Feldstecher kein Gelb zwischen seinem Pfeil und der 10er Linie. Auch die Reaktion der anderen Zuschauer deutet eher darauf hin, dass dieser erste Pfeil die 10 anreisst. Die beiden letzten Pfeile sind klare 10er und Ku lacht und ballt die Faust zum Siegeszeichen. Das Horn ertönt und man kann die Pfeile einsammeln gehen. Ku rennt fast zu seiner Scheibe und eine ganze Traube von Zuschauern und Schützen hinter ihm her. Noch bevor er seine Scheibe erreicht,  winkt Ku ab: da ist beim ersten Pfeil ein kleiner aber ganz klarer halber Millimeter gelb zwischen seinem Pfeil und der 10er Linie. Der Weltrekord ist also nur egalisiert, nicht gebrochen.

Alle sind natürlich enttäuscht. Jeder und jede hätte Ku diesen Weltrekord gegönnt. Ku selbst trägt die Enttäuschung mit Fassung. Nach einer Minute lacht er wieder. Kein Ärger ist ihm anzusehen. Kein Schimpfen über die Panne mit dem Licht. Hut ab vor diesem zufriedenen Menschen.

In den Finalrunden erreicht Ku natürlich den Final und gewinnt, nach Anfangs 2 Punkten Rückstand,  gegen den jungen Franzosen Thomas.

Bei den Damen stehen sich im Final die beiden Koreanerinnen gegenüber. Es kommt zu einem „Stechen“, wo ein einziger Pfeil über Sieg oder Niederlage entscheidet. Beide Schützinnen schiessen 10er. Der Pfeil von Ki Bo Bae  ist dem Scheibenzentrum aber um 2 mm näher als jener von Choi Misun.

Mit meiner eigenen Leistung bin ich zufrieden. Ich schiesse 551 Punkte, mit einem Nuller darin, lande auf Platz 14 in der Qualifikation und werde im Achtels final vom Franzosen Thomas diskussionslos 6:0 abserviert, nachdem ich in der ersten Runde Joe Gutjahr mit einem lachenden und einem weinenden Auge mit 6:4, knapp geschlagen hatte.

Für mich war es ein guter Tag. Es war interessant in diesen internationalen Bogenzirkus hineinzuschauen. Über den unkomplizierten, familiären Umgang, ganz ohne Starallüren war ich positiv überrascht. Der Stil und die Leistungen dieser Koreaner und Koreanerinnen waren wirklich sehenswert.

 

Für den BVB, Yvo Buchli